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Rechtssache C-486/01 P


Front national
gegen
Europäisches Parlament


«Rechtsmittel – Erklärung über die Bildung einer Fraktion gemäß Artikel 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments – Fehlende politische Zusammengehörigkeit – Rückwirkende Auflösung der TDI-Fraktion – Anschlussrechtsmittel – Auslegung des Artikels 230 Absatz 4 EG – Begriff einer Entscheidung, die eine natürliche oder juristische Person ‚unmittelbar und individuell‘ betrifft – Unzulässigkeit einer von einer nationalen politischen Partei erhobenen Klage»

Schlussanträge des Generalanwalts D. Ruiz‑Jarabo Colomer vom 20. Januar 2004
    
Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 29. Juni 2004
    

Leitsätze des Urteils

Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbares Betroffensein – Kriterien – Entscheidung des Parlaments über die Auflösung einer Fraktion, die aus einer nationalen politischen Partei angehörenden Abgeordneten besteht – Kein unmittelbares Betroffensein dieser Partei

(Artikel 230 Absatz 4 EG; Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, Artikel 29 Absätze 1 und 2, und Artikel 30)

Die in Artikel 230 Absatz 4 EG genannte Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von der mit einer Nichtigkeitsklage angefochtenen Entscheidung „unmittelbar“ betroffen sein muss, ist nur dann erfüllt, wenn die beanstandete Maßnahme der Gemeinschaft sich auf die Rechtsstellung dieser Person unmittelbar auswirkt und ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihr Erlass vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergibt, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewandt werden.

Eine Entscheidung des Europäischen Parlaments über die Auslegung von Artikel 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Parlaments und über die rückwirkende Auflösung der „Technischen Fraktion der unabhängigen Abgeordneten (TDI) – gemischte Fraktion“ betrifft, da sie den Abgeordneten, die die Bildung der TDI‑Fraktion erklärt haben, darunter den auf der Liste des Front national gewählten Abgeordneten, die Möglichkeit genommen hat, sich in Form der TDI‑Fraktion zu einer Fraktion im Sinne von Artikel 29 der Geschäftsordnung zusammenzuschließen, diese Abgeordneten unmittelbar. Diese Abgeordneten wurden nämlich allein durch diese Handlung daran gehindert, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen, und wurden von diesem Augenblick an als fraktionslose Abgeordnete im Sinne von Artikel 30 der Geschäftsordnung angesehen, die dadurch beschränktere parlamentarische Rechte sowie geringere materielle und finanzielle Vergünstigungen genießen, als wenn sie Mitglieder einer Fraktion im Sinne dieses Artikels 29 gewesen wären.

Dieselbe Schlussfolgerung ist dagegen in Bezug auf eine nationale politische Partei wie den Front national nicht geboten. Zwar ist es natürlich, dass eine nationale politische Partei, die Kandidaten für die Wahl der Mitglieder des Parlaments aufstellt, den Wunsch hat, dass ihre Kandidaten, sobald sie gewählt sind, ihr Mandat unter den gleichen Bedingungen wie die übrigen Parlamentarier ausüben, dieses Interesse begründet für sie aber weder ein Recht darauf, dass ihre gewählten Mitglieder eine eigene Fraktion bilden, noch darauf, dass sie sich einer der Fraktionen anschließen können, die sich innerhalb des Parlaments gebildet haben.

Zum einen setzt die Bildung einer Fraktion im Parlament nach Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung nämlich voraus, dass eine Mindestzahl von Abgeordneten aus mehreren Mitgliedstaaten vorhanden ist, und zum anderen ist in Artikel 29 Absatz 1 ohnehin nur von einem Zusammenschluss von Abgeordneten nach ihrer politischen Zugehörigkeit die Rede. Diese Bestimmungen weisen den nationalen politischen Parteien, denen diese Abgeordneten bei dem Prozess der Bildung einer Fraktion angehören, keine spezifische Rolle zu.

(vgl. Randnrn. 34‑37)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Große Kammer)
29. Juni 2004(1)

„Rechtsmittel – Erklärung über die Bildung einer Fraktion gemäß Artikel 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments – Fehlende politische Zusammengehörigkeit – Rückwirkende Auflösung der TDI-Fraktion – Anschlussrechtsmittel – Auslegung des Artikels 230 Absatz 4 EG – Begriff einer Entscheidung, die eine natürliche oder juristische Person ‚unmittelbar und individuell‘ betrifft – Unzulässigkeit einer von einer nationalen politischen Partei erhobenen Klage“

In der Rechtssache C-486/01 P

Front national mit Sitz in Saint-Cloud (Frankreich), vertreten durch Rechtsanwälte F. Wagner und V. de Poulpiquet de Brescanvel,

Rechtsmittelführer,

betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (Dritte erweiterte Kammer) vom 2. Oktober 2001 in den verbundenen Rechtssachen T-222/99, T-327/99 und T-329/99 (Martinez u. a./Parlament, Slg. 2001, II-2823) wegen Aufhebung dieses Urteils,

anderer Verfahrensbeteiligter:

Europäisches Parlament, vertreten durch G. Garzón Clariana, J. Schoo und H. Krück als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagter im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer),



unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans (Berichterstatter), A. Rosas, J.-P. Puissochet und J. N. Cunha Rodrigues, des Richters R. Schintgen, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric, des Richters S. von Bahr und der Richterin R. Silva de Lapuerta,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: M. Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 9. Dezember 2003,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Januar 2004,

folgendes



Urteil



1
Der Front national hat mit Rechtsmittelschrift, die am 12. Dezember 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß den Artikeln 225 EG und 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 2. Oktober 2001 in den verbundenen Rechtssachen T‑222/99, T‑327/99 und T‑329/99 (Martinez u. a./Parlament, Slg. 2001, II‑2823, im Folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt, mit dem seine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 14. September 1999 über die Auslegung von Artikel 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments und über die rückwirkende Auflösung der „Technischen Fraktion der unabhängigen Abgeordneten (TDI) gemischte Fraktion“ (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen worden war.

2
Mit besonderem Schriftsatz, der am 11. Dezember 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat der Front national gemäß Artikel 242 EG beantragt, die Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Urteils anzuordnen. Dieser Antrag ist jedoch durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 21. Februar 2002 in den Rechtssachen C-486/01 P-R und C-488/01 P-R (Front National und Martinez/Parlament, Slg. 2002, I-1843) u. a. mit der Begründung zurückgewiesen worden, die Anordnung der genannten Aussetzung des Vollzugs sei nicht geeignet, den schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden zu vermeiden, auf den sich der Antragsteller berufe.


Rechtlicher Rahmen

3
Die zum Zeitpunkt des streitigen Geschehens geltende Fassung der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (ABl. 1999, L 202, S. 1, im Folgenden: Geschäftsordnung) sah in ihrem Artikel 29, der die Überschrift „Bildung der Fraktionen“ trägt, Folgendes vor:

„1.     Die Mitglieder können ihrer politischen Zugehörigkeit entsprechende Fraktionen bilden.

2.       Einer Fraktion müssen Mitglieder aus mehr als einem Mitgliedstaat angehören. Zur Bildung einer Fraktion bedarf es mindestens 23 Mitglieder, wenn diese aus zwei Mitgliedstaaten kommen; bei drei Mitgliedstaaten bedarf es 18 und bei vier oder mehr Mitgliedstaaten 14 Mitglieder.

3.       Ein Mitglied kann nur einer Fraktion angehören.

4.       Die Bildung einer Fraktion muss gegenüber dem Präsidenten erklärt werden. In dieser Erklärung sind der Name der Fraktion, die Mitglieder und der Vorstand anzugeben.

…“

4
Artikel 30 der Geschäftsordnung, der sich auf fraktionslose Abgeordnete bezieht, sah vor:

„1.     Mitgliedern, die keiner Fraktion angehören, steht ein Sekretariat zur Verfügung. Die Einzelheiten bestimmt das Präsidium auf Vorschlag des Generalsekretärs.

2.       Das Präsidium regelt auch die Stellung und die parlamentarischen Rechte dieser Mitglieder.“

5
Artikel 180 der Geschäftsordnung sah hinsichtlich der Anwendung dieser Regelung vor:

„1.     Treten Zweifel bezüglich der Anwendung oder Auslegung dieser Geschäftsordnung auf, so kann der Präsident, unbeschadet bereits getroffener einschlägiger Entscheidungen, den Gegenstand zur Prüfung an den zuständigen Ausschuss überweisen.

Bei einer gemäß Artikel 142 zu treffenden Entscheidung kann der Präsident den Gegenstand ebenfalls an den zuständigen Ausschuss überweisen.

2.       Der Ausschuss beschließt, ob es erforderlich ist, eine Änderung der Geschäftsordnung vorzuschlagen. In diesem Fall verfährt er gemäß Artikel 181.

3.       Beschließt der Ausschuss, dass eine Auslegung der bestehenden Geschäftsordnungsbestimmungen genügt, so übermittelt er seine Auslegung dem Präsidenten, der das Parlament unterrichtet.

4.       Sofern eine Fraktion oder mindestens 32 Mitglieder gegen die Auslegung des Ausschusses Einspruch erheben, wird der Gegenstand dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt, das mit einfacher Mehrheit bei Anwesenheit mindestens eines Drittels seiner Mitglieder darüber beschließt. Im Falle der Ablehnung wird der Gegenstand an den Ausschuss zurücküberwiesen.

5.       Auslegungen, gegen die kein Einspruch erhoben wurde, und vom Parlament angenommene Auslegungen werden in Kursivschrift als Erläuterungen zu dem Artikel oder den jeweiligen Artikeln zusammen mit den einschlägigen Entscheidungen zur Anwendung der Geschäftsordnung angefügt.

6.       Diese Erläuterungen müssen bei der künftigen Anwendung und Auslegung der betreffenden Artikel berücksichtigt werden.

…“


Sachverhalt

6
Aus dem angefochtenen Urteil geht hervor, dass der Präsident des Parlaments am 19. Juli 1999 von der Bildung einer neuen Fraktion mit der Bezeichnung „Technische Fraktion der unabhängigen Abgeordneten (TDI) gemischte Fraktion“ (im Folgenden: TDI-Fraktion) unterrichtet wurde, deren erklärter Zweck darin bestand, jedem Mitglied die volle Ausübung seines parlamentarischen Mandats zu gewährleisten, und dass die Vorsitzenden der übrigen Fraktionen aufgrund der fehlenden politischen Zusammengehörigkeit der verschiedenen Fraktionsmitglieder Einspruch gegen die Bildung dieser Fraktion erhoben. Aus diesem Grund wurde der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Parlaments (im Folgenden: Ausschuss für konstitutionelle Fragen) gemäß Artikel 180 Absatz 1 der Geschäftsordnung um Auslegung von Artikel 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung ersucht.

7
Mit Schreiben vom 28. Juli 1999 übermittelte der Vorsitzende des genannten Ausschusses der Präsidentin des Parlaments die angeforderte Auslegung. In diesem Schreiben wurde u. a. Folgendes ausgeführt:

„Der Ausschuss für konstitutionelle Fragen hat in seiner Sitzung vom 27. und 28. Juli 1999 das von der Konferenz der Präsidenten in ihrer Sitzung vom 21. Juli 1999 beschlossene Ersuchen um Auslegung von Artikel 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung geprüft.

Nach eingehender Erörterung hat der Ausschuss für konstitutionelle Fragen mit 15 Stimmen, 2 Gegenstimmen und einer Enthaltung folgende Auslegung von Artikel 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung beschlossen:

Die Erklärung über die Bildung der [TDI-Fraktion] entspricht nicht Artikel 29 Absatz 1 der [Geschäftsordnung].

Die Erklärung über die Bildung der Fraktion, insbesondere Anlage 2 des diesbezüglichen Schreibens an den Präsidenten des Europäischen Parlaments, schließt nämlich jede politische Zusammengehörigkeit aus. Sie gibt den verschiedenen Bestandteilen innerhalb der Fraktion völlige politische Unabhängigkeit.

Ich schlage Ihnen vor, zu Artikel 29 Absatz 1 folgenden Vermerk über die Auslegung der Geschäftsordnung einzufügen:

‚Nach diesem Artikel ist die Bildung einer Fraktion unzulässig, die offen jeden politischen Charakter und jede politische Zusammengehörigkeit zwischen ihren Bestandteilen verneint.‘

...“

8
Der Inhalt des vorstehenden Schreibens wurde dem Parlament durch seine Präsidentin in der Plenarsitzung vom 13. September 1999 mitgeteilt. Nachdem die TDI-Fraktion auf der Grundlage von Artikel 180 Absatz 4 der Geschäftsordnung Einspruch gegen den vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen vorgeschlagenen Auslegungsvermerk erhoben hatte, wurde dieser dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt und in der Plenarsitzung vom 14. September 1999 mit der Mehrheit der Mitglieder angenommen.

9
Der Front national ist der Auffassung, dass er durch dieses Abstimmungsergebnis beschwert sei, und hat mit Klageschrift, die am 19. November 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, eine Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung erhoben (Rechtssache T-327/99). Mit Klageschriften, die bei der Kanzlei des Gerichts am 5. Oktober bzw. am 22. November 1999 eingegangen sind, sind zwei Klagen mit demselben Gegenstand auch von Herrn Martinez und Herrn de Gaulle (Rechtssache T-222/00) sowie von Frau Bonino, den Herren Pannella, Cappato, Dell’Alba, Della Vedova, Dupuis, Turco sowie der Lista Emma Bonino eingereicht worden (Rechtssache T-329/99).


Das angefochtene Urteil

10
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage des Front national für zulässig erklärt, sie jedoch als unbegründet abgewiesen.

Zur Zulässigkeit

11
Das Gericht hat die vom Parlament erhobenen Einreden der Unzulässigkeit der Klage, mit denen geltend gemacht wurde, die streitige Entscheidung unterliege nicht der Rechtmäßigkeitsprüfung durch die Gemeinschaftsgerichte und die Kläger seien durch diese Entscheidung nicht im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG unmittelbar und individuell betroffen, wie folgt zurückgewiesen.

12
Zunächst hat das Gericht auf die Einrede der Unzulässigkeit, mit der die Inexistenz der streitigen Entscheidung, soweit durch diese die Auflösung der TDI‑Fraktion ausgesprochen wird, geltend gemacht wurde, in Randnummer 26 des angefochtenen Urteils entschieden, dass für die Feststellung, ob gegen eine Handlung gemäß Artikel 230 EG Klage erhoben werden könne, auf deren Wesen und nicht auf deren Form abzustellen sei. Nach einer Prüfung des Inhalts dieser Handlung sowie der Umstände, die zu deren Erlass geführt haben, hat das Gericht in Randnummer 46 dieses Urteils angenommen, dass das Parlament mit dieser Handlung nicht nur beschlossen habe, sich die vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen vorgeschlagene allgemeine Auslegung des Artikels 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung und die Stellungnahme des Ausschusses zur Frage der Zulässigkeit der Erklärung über die Bildung der TDI‑Fraktion gemäß dieser Bestimmung zu eigen zu machen, sondern auch rückwirkend das Nichtbestehen dieser Fraktion wegen Nichterfüllung der in dieser Bestimmung niedergelegten Voraussetzung festgestellt habe.

13
Was sodann die zweite vom Parlament erhobene Einrede der Unzulässigkeit angeht, mit der die Unanfechtbarkeit der streitigen Entscheidung geltend gemacht wurde, hat das Gericht in den Randnummern 59 bis 62 des angefochtenen Urteils entschieden, dass diese Handlung – da sie den Abgeordneten, die die Bildung der TDI‑Fraktion erklärt hätten, die Möglichkeit nehme, sich mit dieser als Fraktion im Sinne von Artikel 29 der Geschäftsordnung zu organisieren, so dass sie gemäß Artikel 30 der Geschäftsordnung als fraktionslose Abgeordnete gälten – sich auf die Bedingungen auswirke, unter denen die betroffenen Abgeordneten ihre parlamentarischen Aufgaben wahrnähmen, und damit Rechtswirkungen gegenüber diesen Abgeordneten entfalte. Eine solche Handlung lasse sich daher nicht auf eine Maßnahme reduzieren, die nur die interne Organisation der Arbeit des Parlaments im strengen Sinne betreffe, sondern unterliege der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Gemeinschaftsgerichte gemäß Artikel 230 Absatz 1 EG.

14
Schließlich hat das Gericht zu der Einrede der Unzulässigkeit, mit der das Parlament in Zweifel gezogen hatte, dass die in Artikel 230 Absatz 4 EG vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorlägen, in Randnummer 65 des angefochtenen Urteils entschieden, dass anzunehmen sei, dass die streitige Handlung Herrn Martinez und Herrn de Gaulle sowie die in der Rechtssache T-329/99 klagenden Abgeordneten insoweit unmittelbar betreffe, als diese Handlung diese Abgeordneten, ohne dass dafür eine zusätzliche Handlung erforderlich wäre, daran hindere, sich in Form der TDI‑Fraktion zu einer Fraktion im Sinne von Artikel 29 der Geschäftsordnung zusammenzuschließen, was die Voraussetzungen für die Ausübung ihres Mandats unmittelbar berühre. Daraus hat es geschlossen, dass davon auszugehen sei, dass diese Handlung auch den Front national unmittelbar und individuell betreffe.

15
Was die erste dieser Voraussetzungen angeht, hat das Gericht wie folgt entschieden:

„66
In der Rechtssache T-327/99 ist festzustellen, dass [der] Front national als eine französische politische Partei eine juristische Person ist, deren satzungsmäßiger Zweck darin besteht, durch ihre Mitglieder im Rahmen nationaler und europäischer Institutionen politische Ideen und Vorhaben zu fördern. Sie kandidierte für die Parlamentswahlen im Juni 1999 mit einer eigenen Liste. Alle ihre über diese Liste in das Parlament gewählten Mitglieder gehören zu den Abgeordneten, die die Bildung der TDI-Fraktion erklärten. Infolge der Handlung vom 14. September 1999 ist für sie alle die oben in Randnummer 59 genannte Lage eingetreten, die sich auf die Voraussetzungen für die Förderung der Ideen und Vorhaben der von ihnen auf europäischer parlamentarischer Ebene vertretenen Partei und damit die Voraussetzungen, unter denen sich der satzungsmäßige Zweck dieser politischen Partei auf europäischer Ebene erreichen lässt, unmittelbar auswirkt.

67
Demnach ist davon auszugehen, dass die Handlung vom 14. September 1999 auch [den] Front national unmittelbar betrifft.“

16
Was die zweite der in Artikel 230 Absatz 4 EG vorgesehenen Voraussetzungen angeht, hat das Gericht auf die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Voraussetzung und auf die Umstände hingewiesen, die zur Auflösung der TDI‑Fraktion geführt haben, und hat dann in Randnummer 72 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die streitige Handlung den Front national individuell betreffe, weil sie ihn wegen besonderer Umstände aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebe.

17
Demzufolge hat das Gericht die dritte vom Parlament erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen und in Randnummer 75 des angefochtenen Urteils entschieden, dass die Nichtigkeitsklage des Front national für zulässig zu erklären sei.

Zur Begründetheit

18
Was dagegen die Begründetheit der Klage angeht, hat das Gericht alle vom Front national geltend gemachten Klagegründe zurückgewiesen; diese waren gestützt auf eine fehlerhafte Auslegung des Artikels 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Parlaments (erster Klagegrund), einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und die Geschäftsordnung sowie das Fehlen einer Rechtsgrundlage der streitigen Handlung (zweiter Klagegrund), eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung gegenüber den Mitgliedern der TDI‑Fraktion (dritter Klagegrund), eine Verkennung der parlamentarischen Überlieferungen der Mitgliedstaaten (vierter Klagegrund), eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften (fünfter Klagegrund) und einen Verfahrensmissbrauch (sechster Klagegrund).

19
Das Gericht hat die bei ihm anhängige Nichtigkeitsklage daher abgewiesen und dem Front national dessen eigene Kosten und die Kosten des Parlaments in der Rechtssache T‑327/99 auferlegt.


Das Rechtsmittel

20
Mit seinem Rechtsmittel beantragt der Front national,

das Rechtsmittel für zulässig zu erklären;

eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht festzustellen;

das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufzuheben;

in der Sache zu entscheiden oder andernfalls die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und

dem Parlament die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

21
Das Parlament beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen;

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin die Zulässigkeit der Klage des Front national bejaht wird;

diese Klage als unzulässig oder, hilfsweise, als nicht begründet abzuweisen und

dem Front national die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


Zum Anschlussrechtsmittel

Vorbringen der Parteien

22
Mit seinem Anschlussrechtsmittel, das im vorliegenden Fall zuerst zu prüfen ist, bestreitet das Parlament im Wesentlichen die Befugnis des Front national, eine Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Handlung zu erheben. Es macht in diesem Zusammenhang geltend, das Gericht habe zwar in Randnummer 66 des angefochtenen Urteils die Auswirkungen dieser Handlung auf die Rechtslage der Abgeordneten, die die Bildung der TDI‑Fraktion erklärt hätten – und von denen einige auch Mitglieder des Front national gewesen seien –, richtig gewürdigt, es habe dagegen einen Rechtsfehler begangen, als es in Randnummer 67 dieses Urteils entschieden habe, dass davon auszugehen sei, dass diese Handlung diese politische Partei „unmittelbar“ betreffe. Diese Partei erfülle diese in Artikel 230 Absatz 4 EG vorgesehene Voraussetzung nämlich nicht, da sie von der angefochtenen Handlung eben nur mittelbar betroffen sei. Das Parlament stützt sich in diesem Zusammenhang auf folgende Argumente.

23
Erstens stehe die Schlussfolgerung, zu der das Gericht in Randnummer 67 des angefochtenen Urteils gelangt sei, im Widerspruch zu der Feststellung, die in anderen Passagen dieses Urteils und insbesondere in den Randnummern 59 und 65 enthalten sei, in denen das Gericht angenommen habe, dass die Abgeordneten, die die Bildung der TDI‑Fraktion erklärt hätten, als durch die streitige Handlung unmittelbar betroffen anzusehen seien, da diese ihnen „die Möglichkeit [genommen hat], sich mit dieser als Fraktion im Sinne von Artikel 29 der Geschäftsordnung zu organisieren“. Es sei nämlich undenkbar, dass nationale politische Parteien, die keine besondere Rechtsstellung im Sinne der Geschäftsordnung besäßen, durch Handlungen des Parlaments in gleicher Weise berührt sein könnten wie Abgeordnete, die ihrerseits nach der Geschäftsordnung eine besondere Rechtsstellung hätten.

24
Das Parlament trägt zweitens vor, die Behauptung, dass der Front national durch die streitige Handlung unmittelbar betroffen sei, stehe auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofes und insbesondere zum Urteil vom 16. Juni 1970 in der Rechtssache 69/69 (Alcan u. a./Kommission, Slg. 1970, 385), nach dem ein Kläger von einer Handlung nur unmittelbar betroffen sein könne, wenn diese als solche die unmittelbare Wirkung habe, ihm ein Recht zu entziehen oder ihm eine Verpflichtung aufzuerlegen, so dass ein solcher Kläger in eine ähnliche Lage gebracht würde wie diejenige, in der er sich befinden würde, wenn er Adressat dieser Handlung wäre. Dies sei aber hier in keiner Weise der Fall, da der Front national anders als seine zu Mitgliedern des Parlaments gewählten Kandidaten von dieser Handlung nur mittelbar betroffen sei.

25
Das Parlament macht drittens geltend, zwar ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass Handlungen, die es erlasse, mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden könnten, wenn sie rechtliche Wirkungen gegenüber Dritten entfalteten oder wenn solche Wirkungen über den Rahmen der internen Organisation der Arbeiten des Organs hinausgingen; eine Handlung wie die streitige Handlung, die die Stellung bestimmter Abgeordneter regle, entfalte aber keine rechtlichen Wirkungen gegenüber Dritten wie einer nationalen politischen Partei. Dabei könne sich der Front national nicht auf seine Beteiligung an den Wahlen von Juni 1999 und die tatsächliche Wahl einiger seiner Anhänger zu Mitgliedern des Parlaments berufen, da es nach der Wahl keine rechtlichen Beziehungen mehr zwischen den politischen Parteien, die am Wahlkampf beteiligt gewesen seien, und der gewählten Versammlung gebe. Sowohl aus Artikel 4 Absatz 1 des Aktes vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung (ABl. L 278, S. 5) als auch aus Artikel 2 der Geschäftsordnung ergebe sich, dass die ins Parlament gewählten Abgeordneten ihr Mandat frei ausübten und weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden seien. Würde unter diesen Voraussetzungen die These bejaht, dass die streitige Handlung rechtliche Wirkungen auch gegenüber einer nationalen politischen Partei wie dem Front national entfalte, so wären die Mitglieder des Parlaments einfachen „Mittlern“ zwischen diesem und ihrer Partei ohne eigene Selbständigkeit oder Verantwortlichkeit gleichgestellt, was sowohl dem Buchstaben als auch dem Geist der oben genannten Vorschriften zuwiderliefe.

26
Viertens weist das Parlament schließlich auf die negativen Folgen hin, die die Zulassung der vom Front national erhobenen Klage nach sich ziehen könnte. Würde die Auslegung, für die sich das Gericht entschieden habe, vom Gerichtshof bejaht, so wären die Gemeinschaftsgerichte nämlich der Gefahr einer Fülle von Klagen ausgesetzt, die nicht nur von anderen Personen oder Personengruppen ausgingen, die durch die internen Organisationsmaßnahmen des Parlaments nur mittelbar betroffen seien – wie die Stiftungen der politischen Parteien, die z. B dann berührt sein könnten, wenn die Zahlung von Zuschüssen aus den den Fraktionen gezahlten Mitteln nicht mehr möglich wäre –, sondern auch von anderen politischen Parteien, die sich je nach ihren eigenen Satzungsvorschriften durch spezifische Bestimmungen der Geschäftsordnung besonders betroffen fühlen könnten, wie z. B. Artikel 152 über die Zusammensetzung der Ausschüsse oder Artikel 168 Absatz 2, aus dem hervorgehe, dass die Einrichtung der interparlamentarischen Delegationen „soweit möglich einer gerechten Vertretung nach Mitgliedstaaten und politischen Richtungen Rechnung tragen“ müsse.

27
In den Erklärungen, die der Front national gemäß Artikel 117 § 2 zu diesem Anschlussrechtsmittel eingereicht hat, wendet er sich gegen die Auffassung des Parlaments, dass er nach Artikel 230 Absatz 4 EG nicht klagebefugt sei. Seine Klage sei vielmehr nicht nur unter dem Aspekt der Rechtsnatur der streitigen Handlung, sondern auch unter dem der Person des Klägers zulässig.

28
Was erstens die Rechtsnatur der streitigen Handlung betrifft, macht der Front national geltend, die Entscheidung, mit der das Parlament am 14. September 1999 die vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen vorgenommene Auslegung des Artikels 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung gebilligt habe, stelle eine mit einer Klage anfechtbare Handlung dar, da eine solche Handlung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sehr wohl endgültigen Charakter habe und Rechtswirkungen entfalte, die über die interne Organisation der Arbeit des Parlaments hinausgingen, denn sie nehme den politischen Parteien und den Abgeordneten, die ihre Zugehörigkeit zur TDI‑Fraktion geltend machten, die Möglichkeit, sich in einer Fraktion zusammenzuschließen. Unter diesen Voraussetzungen würden die Mitglieder des Front national, die dieser für die Wahl aufgestellt habe und zu deren Wahl er durch seine Tätigkeit beigetragen habe, in eine ungünstigere Lage gebracht als die Abgeordneten, die Mitglieder einer Fraktion seien, was sich auf die Voraussetzungen für die Förderung der Ideen und der Vorhaben der Partei unmittelbar auswirke und nachträglich das Ergebnis der Wahlen verfälsche.

29
Was zweitens die Person des Klägers angeht, vertritt der Front national die Auffassung, auch insoweit sei die Klage zulässig, da er von der streitigen Handlung gleichzeitig unmittelbar und individuell betroffen sei.

30
Was zunächst die Voraussetzung angeht, dass die natürliche oder juristische Person von der mit der Klage angefochtenen Entscheidung „unmittelbar“ betroffen sein muss, teilt der Front national die Beurteilung des Gerichts, dass dies bei der streitigen Handlung der Fall sei, da sie zwar erhebliche Auswirkungen auf den Umfang der politischen Rechte und der materiellen Vergünstigungen, die die Mitglieder der TDI‑Fraktion genössen, gehabt habe, aber auch unmittelbare Auswirkungen auf die Parteien, aus denen diese Abgeordneten hervorgegangen seien, und insbesondere auf den Front national, da dieser aktiv für die Wahl seiner Mitglieder in das Parlament eingetreten sei und aus diesem Anlass erhebliche Aufwendungen gehabt habe. Diese Partei habe daher ein offenkundiges Interesse daran, dass die Abgeordneten, zu deren Wahl sie beigetragen habe, über die gleichen Möglichkeiten verfügten wie die anderen Parlamentarier. In diesem Zusammenhang beruft sich der Front national insbesondere auf das Urteil vom 23. April 1986 in der Rechtssache 294/83 (Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339) und weist das Vorbringen des Parlaments zurück, nach der Wahl gebe es zwischen den politischen Parteien, die am Wahlkampf teilgenommen hätten, und der gewählten Versammlung keine Rechtsbeziehungen mehr. Die grundsätzliche Gleichheit der politischen Gruppierungen in den Wahlkämpfen, die der Gerichtshof in diesem Urteil bestätigt habe, bestehe nach der Wahl nämlich weiter, so dass der Gerichtshof einen Verstoß gegen diesen Grundsatz ahnden müsse, wenn die Wähler des Front national im Parlament nicht zumindest unter gleichwertigen, wenn schon nicht gleichen Bedingungen vertreten wären wie die Parlamentarier der anderen Gruppen.

31
Zu der Voraussetzung, dass die natürliche oder juristische Person von der mit der Klage angefochtenen Entscheidung „individuell“ betroffen sein muss, trägt der Front national vor, dass er die in der Rechtsprechung und insbesondere im Urteil vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache C-309/89 (Codorniu/Rat, Slg. 1994, I‑1853) aufgestellten Voraussetzungen erfülle, da er von der streitigen Handlung sowohl wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften als auch aufgrund ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände betroffen sei. Der Front national teilt dabei die Beurteilung durch das Gericht in den Randnummern 69 bis 71 des angefochtenen Urteils.

Würdigung durch den Gerichtshof

32
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach Artikel 230 Absatz 4 EG jede natürliche oder juristische Person gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben kann, die, obwohl sie als Verordnung oder als an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie „unmittelbar und individuell betreffen“.

33
Zwar stellt das Parlament mit seinem Anschlussrechtsmittel die Beurteilung des Gerichts, dass die streitige Handlung den Charakter einer Entscheidung habe und den Front national individuell betreffe, nicht in Frage, es wendet sich aber gegen die Schlussfolgerung in Randnummer 67 des angefochtenen Urteils, dass diese Partei von dieser Handlung unmittelbar betroffen sei.

34
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die in Artikel 230 Absatz 4 EG genannte Voraussetzung, dass eine natürliche oder juristische Person von der mit der Klage angefochtenen Entscheidung „unmittelbar“ betroffen sein muss, nur dann erfüllt ist, wenn die beanstandete Maßnahme der Gemeinschaft sich auf die Rechtsstellung dieser Person unmittelbar auswirkt und ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihr Erlass vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergibt, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewandt werden (vgl. u. a. Urteil vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C‑404/96 P, Glencore Grain/Kommission, Slg. 1998, I‑2435, Randnr. 41, und die darin zitierte Rechtsprechung).

35
Im vorliegenden Fall lässt sich nicht bestreiten, dass die streitige Handlung, da sie den Abgeordneten, die die Bildung der TDI‑Fraktion erklärt haben, darunter den auf der Liste des Front national gewählten Abgeordneten, die Möglichkeit genommen hat, sich in Form der TDI‑Fraktion zu einer Fraktion im Sinne von Artikel 29 der Geschäftsordnung zusammenzuschließen, diese Abgeordneten unmittelbar betrifft. Wie das Gericht in den Randnummern 59 und 65 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt hat, wurden diese Abgeordneten nämlich allein durch diese Handlung daran gehindert, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen, und wurden von diesem Augenblick an als fraktionslose Abgeordnete im Sinne von Artikel 30 der Geschäftsordnung angesehen, die dadurch beschränktere parlamentarische Rechte sowie geringere materielle und finanzielle Vergünstigungen genießen, als wenn sie Mitglieder einer Fraktion im Sinne dieses Artikels 29 gewesen wären.

36
Dieselbe Schlussfolgerung ist dagegen in Bezug auf eine nationale politische Partei wie den Front national nicht geboten. Wie der Generalanwalt in Nummer 40 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ist es zwar natürlich, dass eine nationale politische Partei, die Kandidaten für die Wahl der Mitglieder des Parlaments aufstellt, den Wunsch hat, dass ihre Kandidaten, sobald sie gewählt sind, ihr Mandat unter den gleichen Bedingungen wie die übrigen Parlamentarier ausüben, dieses Interesse begründet für sie aber weder ein Recht darauf, dass ihre gewählten Mitglieder eine eigene Fraktion bilden, noch darauf, dass sie sich einer der Fraktionen anschließen können, die sich innerhalb des Parlaments gebildet haben.

37
Zum einen setzt die Bildung einer Fraktion im Parlament nach Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung nämlich voraus, dass eine Mindestzahl von Abgeordneten aus mehreren Mitgliedstaaten vorhanden ist, und zum anderen ist in Artikel 29 Absatz 1 ohnehin nur von einem Zusammenschluss von Abgeordneten nach ihrer politischen Zugehörigkeit die Rede. Diese Bestimmungen weisen den nationalen politischen Parteien, denen diese Abgeordneten bei dem Prozess der Bildung einer Fraktion angehören, keine spezifische Rolle zu.

38
Daher lässt sich nicht die Auffassung vertreten, dass eine nationale politische Partei von der streitigen Handlung, die nur für die Abgeordneten gilt, die die Bildung der TDI‑Fraktion erklärt haben – und nach Artikel 29 der Geschäftsordnung auch nur für diese gelten konnte –, unmittelbar betroffen sei.

39
In Randnummer 66 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zwar angenommen, dass sich die streitige Handlung insoweit, als sie diesen Abgeordneten und insbesondere denjenigen, die über die Liste des Front national gewählt worden seien, die Möglichkeit nehme, sich zu einer Fraktion zusammenzuschließen, auf die Voraussetzungen für die Förderung der Ideen und Vorhaben der von ihnen auf europäischer parlamentarischer Ebene vertretenen Partei und damit die Voraussetzungen, unter denen sich der satzungsmäßige Zweck dieser politischen Partei auf europäischer Ebene erreichen lasse, unmittelbar auswirke, weshalb der Front national von dieser Handlung unmittelbar betroffen sei.

40
Derartige Wirkungen ergeben sich jedoch nicht unmittelbar aus der streitigen Handlung. Selbst wenn sie eintreten sollten, würden derartige Auswirkungen nämlich daraus, dass die Abgeordneten, die keiner Fraktion angehören, nach Artikel 30 der Geschäftsordnung des Parlaments als fraktionslose Abgeordnete angesehen werden, und aus der ungünstigeren Rechtsstellung folgen, die den fraktionslosen Abgeordneten von der Geschäftsordnung eingeräumt wird. Nur mittelbar könnte der Front national von der streitigen Handlung über die Folgen betroffen sein, die diese in Bezug auf die Rechtsstellung der Abgeordneten mit sich bringt, die sich als dieser Partei zugehörig erklären.

41
Im Übrigen ist das Vorbringen des Front national zurückzuweisen, das darauf gestützt ist, dass der Gerichtshof im Urteil Les Verts/Parlament die grundsätzliche Gleichheit der politischen Gruppierungen bei der Beteiligung an der Kampagne für die Wahl der Abgeordneten in das Parlament anerkannt habe, wobei diese Gleichheit fortbestehen müsse, nachdem die Wahl erfolgt sei. Dieses Urteil betraf nämlich einen völlig anderen Sachverhalt als den im vorliegenden Fall streitigen.

42
So war in der Rechtssache, die zum Urteil Les Verts/Parlament geführt hat, die klagende Partei von den in jener Rechtssache streitigen Entscheidungen des Parlaments unmittelbar betroffen, da diese im Hinblick auf die Wahl der Mitglieder des Parlaments, die 1984 stattfand, die Verteilung der Mittel auf die politischen Gruppierungen – zu denen diese Partei gehörte – regelten, ohne dass eine zusätzliche Handlung erforderlich gewesen wäre, und zwar so, dass die Berechnung des Teils der Mittel, der den einzelnen politischen Gruppierungen zuzuteilen war, automatisch erfolgte und, wie der Gerichtshof in Randnummer 31 des Urteils festgestellt hat, keinerlei Ermessen unterlag.

43
In der vorliegenden Rechtssache dagegen ist der Front national von der streitigen Handlung nicht unmittelbar betroffen. Zwar lässt sich in der Tat nicht bestreiten, dass keine Durchführungsmaßnahme dafür erforderlich ist, dass diese Handlung ihre Wirkung entfaltet, es ist aber ebenso unbestreitbar, dass diese Handlung nach dem Wortlaut des Artikels 29 der Geschäftsordnung sich nur auf die Rechtsstellung der Mitglieder des Parlaments und nicht auf diejenige der nationalen politischen Parteien auswirken kann, über deren Listen diese Mitglieder gewählt worden sind und die gegebenenfalls zu deren Wahl beigetragen haben. Entgegen den Erfordernissen, die in der in Randnummer 34 dieses Urteils genannten Rechtsprechung aufgestellt worden sind, entfaltet eine derartige Handlung daher unmittelbar keine Wirkungen auf die Rechtsstellung des Front national.

44
Nach alledem ist daher festzustellen, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es in Randnummer 67 des angefochtenen Urteils angenommen hat, dass der Front national von der streitigen Handlung unmittelbar betroffen sei, so dass dieses Urteil aufzuheben ist, soweit die Klage des Front national darin für zulässig erklärt worden ist.


Zur Zulässigkeit der Klage des Front national

45
Nach Artikel 61 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes kann dieser nach Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

46
Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof über alle erforderlichen Angaben, um selbst über die Zulässigkeit der vom Front national beim Gericht erhobenen Klage entscheiden zu können. Die von dieser Partei zur Begründung ihrer Auffassung vorgebrachten Argumente stimmen nämlich mit denjenigen überein, die sie im Rahmen ihrer Erklärungen zum Anschlussrechtsmittel des Parlaments entwickelt hat, und stützen sich im Wesentlichen auf die bereits angesprochene These, dass sie von der streitigen Handlung dadurch unmittelbar betroffen sei, dass diese sich auf die Voraussetzungen für die Förderung der Ideen und Vorhaben der Partei auf europäischer parlamentarischer Ebene erheblich auswirke.

47
Aus den in den Randnummern 36 bis 43 dieses Urteils dargelegten Gründen kann nicht angenommen werden, dass der Front national von der streitigen Handlung unmittelbar betroffen ist.

48
Die vom Front national beim Gericht erhobene Klage ist somit als unzulässig abzuweisen. Demzufolge braucht über das Rechtsmittel des Front national nicht mehr entschieden zu werden.


Kosten

49
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament die Verurteilung des Front national beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten des vorliegenden Verfahrens sowie die Kosten des in Randnummer 2 dieses Urteils genannten Verfahrens der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.
Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 2. Oktober 2001 in den verbundenen Rechtssachen T‑222/99, T‑327/99 und T‑329/99 (Martinez u. a./Parlament) wird aufgehoben, soweit die Klage des Front national (Rechtssache T‑327/99) damit für zulässig erklärt wird.

2.
Die Klage des Front national auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 14. September 1999 über die Auslegung des Artikels 29 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Parlaments und über die rückwirkende Auflösung der „Technischen Fraktion der unabhängigen Abgeordneten (TDI) – gemischte Fraktion“ wird als unzulässig abgewiesen.

3.
Über das vom Front national gegen das in Nummer 1 dieses Tenors genannte Urteil eingelegte Rechtsmittel ist nicht mehr zu entscheiden.

4.
Der Front national trägt die Kosten des Europäischen Parlaments sowohl in der vorliegenden Rechtssache als auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung.

Skouris

Jann

Timmermans

Rosas

Puissochet

Cunha Rodrigues

Schintgen

Macken

Colneric

von Bahr

Silva de Lapuerta

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. Juni 2004.

Der Kanzler

Der Präsident

R. Grass

V. Skouris


1
Verfahrenssprache: Französisch.